Ein Schlauchboot in den Bergen…?
Wieso sollten Fahrer eines Schlauchkanus sich plötzlich in einem Gebirge wiederfinden, in dem, abgesehen von
Rinnsälen, armbreiten Bergbächen und regenschweren Wolken, weit und breit kein Wasser – und schon gar kein befahrbares – zu finden ist?
Der Aufstieg:
Genau dort, im tschechischen Riesengebirge, begann die Suche nach dem Ursprung und Verlauf unseres Heimatflusses,
der bei uns schon hanseatischen Elbe, an der wir mit unserem dritten und hündischen Teammitglied Linus, täglich spazieren gegangen waren.
Wir drei bestiegen den Gipfel, auf dem sich der Fluß in 1386 Metern Höhe aus der wassersammelnden Hochfläche
bildet und 500 Meter weiter unten über den Elbfall ins Tal stürzt- und folgten „unserer Elbe“ bis zu unserer Heimatstadt Hamburg.
Angereist waren wir aus Zeit- und Kostengründen per Bahn, so war für uns nur ein Schlauchkanu in Frage gekommen.
Wir verwendeten ein von Grabner Sports gesponsortes Adventure SL, das mit seinen fünf Metern Länge genügend Stauraum für eine mehrwöchige Reise bieten sollte.
Wir müssen zugeben äußerst skeptisch gewesen zu sein. Besonders Falk, der bis dato einzig PE-Kajaks gefahren war
und meinte, Paddelausrüstung sei ein Werkzeug, das alles auszuhalten habe, fragte sich ernsthaft, ob das Schlauchkanu das tägliche Umtragen von Stauwehren und die Wildwasserpassagen samt
schroffer Felsen wirklich überleben würde.
Nun standen wir also auf dem „Elbgipfel“. Symbolisch für dessen Elbquelle, die sich über das gesamte Hochplateau
erstreckt, befindet sich dort oben ein Steinbecken- aber dank der wasserschweren, nebligen Wolken, durch die wir uns angesichts der Höhe zu kämpfen hatten, sahen wir diese erst einmal kaum und an
gute Photos war schon gar nicht zu denken… Zudem fing es in dem Moment unserer Ankunft an zu regnen, so daß wir unseren Aufenthalt dort oben nicht sehr gemütlich gestalten oder gar lange genießen
konnten. Aber immerhin waren wir nun mitten IN der Elbquelle, die sich ja auch aus Regenwasser speist.
Der Kampf:
Nachdem wir der Elbe über wilde, steinige Pfade geduldig den Berg hinauf und wieder herab gefolgt waren, liefen
wir solange neben ihr her, bis wir, ca. 13 Kilometer und eine Übernachtung später, eine scheinbar geeignete Stelle zum Einsetzen gefunden hatten.
Das Nebenherlaufen war allerdings mehr ein mühsames Ziehen und Schleppen, weil wir mit Reisegepäck für drei
Wochen samt Schlauchkanu beladen waren – alles in allem um die 90kg. Trotz der maximalen Flußentfernung von ein paar Metern, durften wir uns aber nicht ins Wasser retten, da es für ein
ausgewachsenes Boot lange Zeit ganz einfach nicht genug davon gab…
So wurde alles, aufgetürmt und festgezurrt auf einem Rollbrett, kilometerweit und nicht ganz ohne einige Stürze,
über tschechische Straßen gekarrt.
Sobald aber möglich setzten wir das frisch aufgepumpte Boot in die Elbe und unseren Weg so nun per Kanu fort – so
dachten wir…
Denn die noch junge, tschechische Elbe hatte anderes mit uns vor: scheinbar breit und tief genug, das
ausgewachsene Kanu samt schwerer Beladung zu tragen, spielte sie uns einen Streich:
Die meiste Zeit mußten wir das Boot schieben, wie einen kaputten Drahtesel…
Alle paar Meter gab es zwar tolles Wildwasser (bis Stufe 3), fahren ließ sich dieses dank des dadurch flach
werdenden Wasserstandes aber nur bedingt. Die meiste Zeit waren wir also wieder am Ziehen und Zerren und wateten, mit dem Kanu zwischen uns, in oft nur knöcheltiefem Wasser, was einige Stürze,
Kratzer und unterkühlte Waden mit sich brachte. Jedenfalls bei einem der Expeditionsteilnehmer – Cathrin hatte sich zwar für eine anständige Neoprenhose entschieden, diese allerdings reichte nur
bis gut über die Knie. Falk, der schlauer gewesen war und einen „Longjohn“ trug, wurde also mit warmen Waden belohnt und Cathrin fror.
Zusätzlich zum Flachwasser bescherten die Tschechen uns alle paar Kilometer Staudämme, drastische Einschnitte in
die Natur, von denen sie große Fans zu sein scheinen.
Auch, wenn wir in den Wehren unschöne, stark in die Natur des Flusses eingreifende Störenfriede sahen, so mußten
wir doch mit ihnen leben und sie umtragen: Kanu leer machen, auf das Rollbrett setzen, 50kg Gepäck zur Einsatzstelle schleppen, Kanu hinterherziehen, einsetzen, beladen. Das ganze wiederholte
sich mehrmals am Tag und das bei mindestens 30°C. Auch darf man sich keine praktischen Umtragestationen mit Rollen und dergleichen vorstellen: steinige Wiesen, steile Böschungen oder gar direkt
meterhoch übers Stauwehr, führte uns der Weg.
Für einen kurzen Überblick: die Strecke bis Pardubice umfaßt 25 Stauwehre, also alle 4,5 Kilometer eines. Andere
Abenteurer setzten mit ihren Booten, um diese Schwierigkeiten zu umgehen, weitaus später ein – wir wagten das Experiment, mussten uns aber aus zeitlichen Gründen geschlagen
geben.
Doch wäre alles von vornherein gesichert worden, die Elbe ohne Flachwasser und die Stauwehre paddlerfreundlich,
wäre es ja auch keine waschechte Expedition gewesen.
Die Entscheidung:
Hätten wir weitergemacht, wie bisher, und jedes Stauwehr umtragen (wenigstens die Wildwasserpassagen wurden immer
seltener, je näher wir der deutsch-tschechischen Grenze kamen), so wären wir in unserem gesteckten Dreiwochen-Rahmen wohl kaum weiter als bis zur Landesgrenze gekommen…
Nachdem wir knapp 50 km lang unser bestes gegeben hatten und unserem Zeitplan mehr als hinterherhinkten, stieg
uns bei Dvur Králové (Km 202), beim erneuten Umtragen bei der Elbe größtem Stauwerk, einer der heißesten Sommertage (um die 40°C) zu Kopfe und so schnappten wir uns einen
Taxifahrer.
Den allerdings mußten wir umständlich mit einem fremden Mobiltelefon rufen lassen, da wir keine Telefonnummer
parat hatten und uns der Fahrer sowieso nicht verstanden hätte – in Tschechien spricht nämlich kaum einer Englisch, nicht einmal Apotheker in den Haupttouristenzonen- aber das ist eine andere
Geschichte…
Geschnappt, mit Händen und Füßen verständigt, und los ging es zum Bahnhof der Stadt. Wie aus so vielen
Reisebüchern zu entnehmen ist, soll es ja sehr sinnvoll sein in wilden afrikanischen oder brasilianischen Gegenden Bildkarten dabeizuhaben, um sich verständlich zu machen, daß aber in einem
Nachbarland wie Tschechien so viele Menschen kein Englisch sprechen, hätten wir uns nicht träumen lassen…
Letzte Etappe:
Über Hradec Králové gelangten wir nach Decín (Km 91), wo wir unser Kanu aufpumpten und, heilfroh über die
Wassermassen, wieder einsetzten.
Im Schatten des Barockschlosses fuhren wir, nun frohen Mutes, endlich ein wenig voranzukommen, Richtung
Staatsgrenze bei Hrensko (Hermskretschen).
Dieser Ort ist der niedrigste Punkt des Landes mit 115m über Normalnull und eine kitschige Verschandelung der
Natur:
In die wunderschönen Felsen des kurz vorher beginnenden Elbsandsteingebirges wurden Ramschläden und Cafés
gesetzt.
Der ehemalige Fischerort wurde nach 1860 zu einem beliebten Urlaubsziel und Wanderort und ist in der Zeit von
damals bis jetzt wohl irgendwann über`s Ziel hinausgeschossen- meist von Asiaten betriebene Billigschuh- und andere Ramschläden konkurrieren um den knappen Platz unter den
Felsen.
Nun wieder in Deutschland freuten wir uns aber über die besser werdende Wasserqualität und vor allem über die
Flußbreite (hier in Sachsen nun schon 100m), durch die wir durchschnittlich mit 9km/h vorwärts kamen.
Trotzdem lagen wir durch die Verzögerungen in Tschechien viel zu weit hinter unserem Zeitplan und trotz der
„Notbremse Bahnfahrt“ hatten wir für die verbleibenden 617 Kilometer nur noch eine gute Woche.
So entschlossen wir uns zu mindestens einer Nachtfahrt- den Tag über durchfahren, abends eine ordentliche,
Stärkung, um lange Durchhalten zu können und dann los: zum Anbruch der Dämmerung und unter starkem
Mückenbeschuß zogen wir uns lange Unterwäsche, eine Neoprenschicht und dicke Jacken über, in unsere Neoprenschuhe
schlüpften wir mit dicken Socken.
Doch es zog dichter Nebel auf und legte eine permanente Feuchte auf unser Boot und Kleidung. Wir kühlten aus –
und das, obwohl wir mittlerweile unsere gesamte Kleidung trugen. Zum Schluß saßen wir sogar in unseren Schlafsäcken und hielten bis zum Sonnenaufgang durch. Wir landeten an, bauten unser Zelt auf
und legten uns für ein paar Stunden erholsamen Schlafes hin. Da uns diese Nachtfahrt zwar erst einmal schneller vorwärts gebracht hatte, aber gleichzeitig für den nächsten Tag zu sehr schwächte,
beließen wir es bei nur einer.
Unser Resümee ist vielseitig. Wir stellten fest dass man für die tschechische Elbe viel Zeit und Kraft braucht, dafür aber nur mit zumeist häßlichen Ortschaften und verschmutztem Wasser entschädigt wird. Was schade ist, denn die Landschaft an sich ist sehr schön.
Und wir stellten die Unterschiede zu Deutschland schon vom Wasser aus fest, im allerpositivsten Sinne. Besonders die Elbauenlandschaften des Nordens, mit ihren einsamen Windungen und tierreichem Wildwuchs lassen das Herz aufgehen.
Falk musste übrigens zugeben, dass seine Skepsis fehl am Platz war. Die Ausrüstung bestand alles mit Bravour. Das Boot hat schwer gelitten, es wurde über spitze Felsen gehievt, Stauwehre metertief fallen gelassen und auf Asphaltwegen malträtiert. Es hat tiefe Schlieren davongetragen, aber kein Leck geschlagen.
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