Neben der Ernährung, dem Veganismus, den Abenteuern, den Hunden und der Natur haben wir noch eine große
Leidenschaft, die auf den ersten Blick so gar nicht ins Schema passt: Filme.
Besonders ich bin, solang ich denken kann, ein fanatischer Filmfan. Als Kind liebte ich Zeichentrick und Disney
und als grüblerischer Jugendlicher mutierte ich zum manischen Cineasten. Während meine Mitschüler in Schulbücher schauten, las ich Fachliteratur für Regisseure und Filmemacher. Mein erstes
Zeitungsabonnement war die Cinema und ich war der einzige Jugendliche, der es durch seine Beharrlichkeit schaffte, in der Videothek, die für unter 18-Jährige natürlich verboten war, Videos
auszuleihen.
Das Kino liebte ich selbstverständlich ebenso und trug mein bisschen Geld fleißig dort hin. Ich führte akribisch
Liste über alles mögliche; welche Filme wie viel Action hatten; welche ich anspruchsvoller fand und natürlich, welche Filme ich wann im Kino sah und wie ich sie fachlich fand.
Mit den Jahren wurde das immer weniger, ganz einfach, weil ich als Erwachsener sehr darauf achtete, wofür ich
mein Geld ausgab und vor allem, weil ich mich immer mehr an meinen Mitzuschauern störte.
Ich liebe Filme, weil sie eine umfassende Kunstform sind. Viele bildende Künste, darstellende Kunst, Musik, das
alles verschmilzt zu einem großen ganzen Werk. Das Theater ist, dies mag für viele verwerflich klingen, nur derb und grob. Der Zuschauer sieht keine feinen Mimiken, auch die Sprache, die
Intonation, ist viel gröber gehalten. Aber natürlich ist das Theater für die Darsteller aus vielen anderen Gründen reiz- und anspruchsvoll. Im Film muss alles fein und auf den Punkt sein. Die
Kamera kann ganz nah ran, der Zuschauer sieht jede Regung, jede Falte, jedes Blinzeln. Der Schnitt muss nicht auf die Sekunde, sondern auf die Zentelsekunde genau sein. Der Tonschnitt ebenso, der
Score muss perfekt zur Szene passen – ja, selbst wie sich die Kamera bewegt ist unglaublich wichtig und vermittelt eine eigene Dramaturgie.
Dies alles geht also weit über das Theater, die Bühne, hinaus und es zeigt vor allem, was für eine umfassende
Kunstform das Medium Film ist.
Auch ich konsumiere manchmal nur. Aber gute Film sehe ich hochkonzentriert, absolut aufmerksam und möchte
keinerlei Ablenkung. Schließlich weiß ich, welch Arbeit ein Film macht. Wie viele Monate Dutzende, ja gar mehrere Hunderte Personen aufopferungsvoll für das Ergebnis schufteten. Jedem Film geht
ein Buch voraus, manchmal ein Drehbuch, manchmal ein Roman, der zu einem Drehbuch adaptiert wird (deshalb gib es da auch zwei Oscar-Kategorien). Solch ein Buch kann sogar für sich schon Jahre in
der „Herstellung“ in Anspruch nehmen und das alles nur, damit ein Mensch, als Zuschauer, ein optimales Ergebnis bekommt – eben große Kunst.
Im Kino sitzen nun aber größtenteils Menschen, die selbst große Filme einfach nur konsumieren, zwischendurch
reden oder Popcorn futtern. Während ich nur in passenden Momenten einen kleinen Schluck trinke und in Ehrfurcht vor dem Werk verharre, knistert neben mir ein Mitbürger mit fettigen Fingern in
seinen Nachos und schlürft sich den Massentierhaltungskäse in Kombination mit seiner Cola hinein.
In den letzten sieben Jahren sah ich nur zwei Filme im Kino. Der eine war Avatar, weil ich, trotz aller Skepsis,
doch das neue 3-D austesten wollte. Schließlich muss ich ja wissen, worüber ich mecker`, bevor ich mecker`. Ich meckere darüber zwar immer noch, muss aber zugeben, dass es seinen Reiz haben kann
und Avatar schaffte es wirklich, ein gutes 3-D dramaturgisch sinnvoll in den Film zu integrieren. Der Film war bunt und laut und ich störte mich weniger am Geraschel und Geknister um mich herum.
Das einzige, was mir wirklich aufstieß, waren die aufblinkenden Lichter der Telefone, immer wen jemand dem modischen Zwang unterlag und drauf schaute. Das war in meiner Jugend anders und es
verbessert den Kinobesuch nicht gerade.
Seit über einem Jahr nun verfolge ich gebannt jede Neuigkeit zum Film The Revenant – Der Rückkehrer. DiCaprio ist
einer meiner favorisierten Darsteller, der Regisseur Iñárritu konnte mit Birdman schon voll überzeugen und das Thema Wildnis, Trapper und Survival spricht uns natürlich besonders
an.
Wir ahnten natürlich, dass uns der Kinobesuch nerven könnte, aber wir hegten die Hoffnung, dass in einer
Spätvorstellung am Samstag die ganzen Filmignoranten irgendwo feiern und trinken und der Rest wohl anständig und still und vor allem reifer ist. Wir glaubten, das Thema des Films spräche ohnehin
eher anspruchsvollere Kinogänger an und die reinen Konsumenten blieben in der Unterzahl. Das war wohl naiv. In vielerlei Hinsicht.
Lustig ist, dass wir uns, nachdem wir die letzten Monate sehr, sehr viel gearbeitet hatten, ein Luxuswochenende
gönnen wollten. Eine Nacht im Top-Hotel Grand Elysee, ein Dinner beim Italiener, ein Cocktail und dann um 23:10 in die Kino-Spätvorstellung. Wir gingen also über den hotelinternen Boulevard und
erfreuten uns an saubersten Böden und vorbildlicher Freundlichkeit aller Servicekräfte. Die Musik war klassisch und ruhig, drei Herren spielten live Jazz in der Bar, der Rezeptionist grüßte … wir
schlenderten gut gelaunt auf die Straße und nach nur fünf Minuten betraten wir das Cinemaxx. Was für ein Kulturshock – die Leute sahen aus wie Abziehbilder aus einem H&M-Katalog, alles war
voll und laut und der Boden bestand aus einem dicken, klebrigen Teppich Popcorn. Wir hatten natürlich vorbestellt, kamen also schnell rein und retteten uns an die Bar. Dort war es schon etwas
ruhiger und man konnte dem Wahnsinn aus sicherer Entfernung zuschauen. Auch da waren wir noch so naiv zu glauben, die ganzen Menschen schauen sich sicher einen modernen Film wie Fast& Furious
an, oder was auch immer grad banales laufen mag.
Wir waren hoffnungslos naiv. Der Mob drängte tatsächlich in The Revenant und wir sahen uns, auf unseren mittigen
Plätzen, umgeben von Leuten, die das Reden und Knistern wirklich nicht einmal dann einstellten, als es los ging. Die Dame neben mir hatte mit brutalen Szenen Probleme und ihre Übersprungshandlung
war ein nervösen Kichern. Sie kicherte, als ein Braunbär dem von DiCaprio gespielten Hugh Glass den Rücken aufriss – sie kicherte, als Indianer abgeschlachtet wurden und sie kicherte irre, als
Hugh Glass unter unerträglichen Schmerzen über den Eisboden kroch.
In der Reihe vor uns hatte ein junger Typ die tötenswerte Angewohnheit, nachdem er mit seinen Griffeln im Popcorn
war, diese durch ein kurzes, schnelles Klatschen sauberzuwischen. Natürlich brabbelten Dutzende Leute; natürlich leuchteten überall immer wieder Telefone auf und Tritte in die Rückenlehne gab es
auch gratis.
Wie viele im Kino wohl nur einen Hauch von Wissen über die wahren Hintergründe der Geschichte des Hugh Glass
hatten? – Wie viele im Kino wohl wirklich den Film sahen – und nicht nur konsumierten? Ein Film eines meisterhaften Kalibers wie The Revenant sollte einen zu Tränen rühren, sollte einen durch
seine Wucht in den Sessel pressen – doch wie soll das gehen, wenn man mit seinem Sitznachbarn redet und irgendetwas futtert? Glass ist am Verhungern, am Sterben, am Leiden – wie kann man dabei
essen? Wie wenig empathisch sind die Menschen? Wo ist die Erfurcht vor der Kunst, der Arbeit seiner Mitmenschen? – Aber auch am Respekt mangelt es, denn kommt es den Popcorn-Knisterern wirklich
nicht in den Sinn, dass dies Verhalten einige andere im Kino stören könnte?
Nach dem Film, nach fünf Minuten stillen Gehens, betraten wir das überwältigende Foyer des Grand Elysee und
atmeten erleichtert ein. „Einen schönen Abend“, begrüßt uns ein gut gekleideter Herr – klassische Musik spielt dezent von irgendwo her.
Wir sind große Gegner des Kapitalismus und Konsum sollte ebenfalls nie verschwenderisch sein. Ausgaben sollte
immer überdacht werden. Wenn wir Geld ausgeben, versuchen wir dies bewusst zu machen und gern mehr Geld für eine hohe Qualität auszugeben. Ein Besuch im Elysee ist Balsam für die Seele, ist eine
Entschleunigung und niveauvoll. Ins Kino zu gehen dagegen eine Schande und wird der Kunstform Film nicht gerecht. Der Mensch entwertet die Kunst zu einem Stück Ware. Er verschwendet sein Geld
beim Lösen des Tickets, weil er das erworbene Recht, den Film zu sehen, nicht nutzt.
Er verschwendet die Lebensmittel und aast damit herum und er stört in asozialer Manier seine
Mitmenschen.
Dies war uns eine Lehre – besonders als Filmliebhaber müssen wir sagen: Nie wieder Kino. Das Kino, als Medium des
Films, ist, aus cineastischer Sicht, tot. Mag sein, dass es noch einige wenige Kunst- und Arthousekinos gibt, wo die Klientel grundsätzlich anders ist. Vielleicht ist das Cinemaxx am Dammtor auch
der denkbar schlechteste Ort – aber selbst im nettesten kleinen Kino kann es nicht so still, ruhig und angemessen sein, wie bei uns daheim, wo wir zwei oder drei Stunden lang schweigend den Film
zelebrieren, um jede Minute davon wirklich zu verarbeiten. Dazu ein frischer Fairtrade-Kaffee und der Film erfährt die Achtung, die sich jeder Filmemacher eigentlich wünscht – und auch verdient
hat.
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